Der Film, „Der Club der toten Dichter“ dürfte den meisten bekannt sein. Insbesondere diese eine Szene, in der Robin Williams, alias Professor Keating, auf den Tisch steigt und die Klasse dazu ermutigt einen Perspektivenwechsel vorzunehmen.

Hast du auch schon einmal einen Perspektivenwechsel vorgenommen? Einen Gegenstand, eine Blume oder ein Gebäude aus einer anderen Perspektive, einem anderen Blickwinkel angeschaut? Hast du während einer Wanderung dich darauf geachtet, wie sich mit nur einem oder wenigen Schritten die Silhouette des gegenüberliegenden Berges verändert. Richtig, es ist und bleibt der gleiche Gegenstand, die gleiche Blume, das gleiche Gebäude und der gleiche Berg. Durch unseren veränderten Blickwinkel bekommt das gute „Beobachtungsstück“ plötzlich eine neue Dimension. Wir sehen es, eben, aus einem anderen Blickwinkel.

Weshalb fällt uns der Perspektivenwechsel bei den Hunden so schwer? Haben sie es nicht auch verdient, dass wir uns Gedanken über ihre Sichtweise und Bedürfnisse machen? In unserer heutigen Gesellschaft ist der Hund für viele ein Statussymbol. Der Hund wird zu einem „Produkt“ unserer Bedürfnisse. Wir haben klare Vorstellungen wie unsere Hunde zu „funktionieren“ haben. Wir haben klare Vorstellungen, was wir mit unseren Hunden „erleben“ und „tun“ wollen. Wofür unsere Hunde in unserem Sozialverbund da sein sollen. „Well to please“ und die „Norm“ vermittelt uns, wie sich unsere Hunde zu verhalten haben. Sie sollen überall gerne Willkommen und gern gesehene „Gäste“ sein. Sie sollen möglichst alles aushalten und jede Stresssituation meistern können. Richtig gelesen: Da steckt ganz viel WIR drin. Wir und unsere Bedürfnisse, Erwartungshaltung und Anforderungen. Ist das von uns Menschen nicht ganz schön egoistisch?

Hunde haben es in unserer Gesellschaft nicht leicht. Sie kommen in mehr oder weniger „natürlicher“ Umgebung auf die Welt. Alles nimmt seinen natürlichen Lauf. Ihre Mutter ist mit der Versorgung und Erziehung beschäftigt. Der Welpe kann mit seinen Geschwistern die ersten Wochen seines Lebens erkunden. Sie sammeln wichtige (Lebens-)Erfahrungen. Zudem lernen sie im Familienverbund Hund erste (über-)lebensnotwendige hündische Fertigkeiten. Und alle sprechen die gleiche Sprache. Die Welt ist in Ordnung – ach wie schön es ist – einfach Hund sein zu dürfen. Idealerweise ist da noch der Züchter, der darauf bedacht ist, unseren Hunden die ersten Schritte im Leben zu erleichtern und beginnt früh mit der Sozialisierung.

Irgendwann, idealerweise in der 8 Woche, wird der Welpe aus diesem „natürlichen“ Umfeld herausgerissen. Da ist plötzlich eine neue Umgebung, Menschen, dessen gesprochene Sprache er nicht versteht. Zudem ist er vor allem weit weg von seinen Geschwistern und seiner Mutter. Nüchtern betrachtet – die totale mentale Überforderung und Stress. Da sind Menschen, die von Anfang an hohe Erwartungen und hohe Anforderungen an ihn stellen. Hand aufs Herz, stehen unsere Anforderungen nicht an erster Stelle? Oder fragen wir unsere Hunde nach ihren Bedürfnissen? Wie sie sich das Leben im Sozialverbund Mensch-Hund vorstellen? Wie sie uns Menschen erleben wollen? Beziehungsweise was ihnen in unserer Beziehung und VerBINDUNG wichtig ist? Was wir tun können, damit wir für sie wichtig werden und sie sich uns anschliessen wollen?

Stattdessen berücksichtigen wir oft nur unsere menschliche Sichtweise und was / wie Hunde für uns sein sollen. So sind Hunde oft der Partner-, Kindersatz, dienen als Spielgefährte, als Kuscheltier, als Wachhund oder auch als das personifizierte „Produkt“, mit dem wir uns profilieren können (Sport, Verein, Wettkampf). Endlich bin Ich jemand, den ICH habe mit meinem Hund den ersten Platz geschafft. Unsere Hunde müssen viele Rollen einnehmen und erfüllen. Sie sollen zum Vorzeigehund werden, den alle lieben. Niemals wollen wir mit unseren Hunden unterwegs „negativ“ auffallen. Unsere Hunde haben zu gefallen. Sie haben überall souverän zu bleiben und müssen jede Situation locker meistern. All dies trainieren wir ihnen an, denn sie sollen sich unserem modernen Leben anpassen und sich uns unterwerfen. Sie müssen lernen auf Kommando zu gehorchen, wenn wir ihnen etwas befehlen. Da lastet ganz schön viel Druck auf unseren Hunden.

Training? Sich anpassen müssen? Funktionieren? Unterwerfung, Gehorsam sein, Befehle und Kommandos befolgen? „Nur“ unseren Bedürfnissen nachgehend „müssend“?

Mit Verlaub; das alles widerspricht, zumindest meiner Vorstellung nach, nach einer harmonischen Beziehung und VerBINDUNG. Das verbinde ich eher mit Macht- und Dominanzverhalten. Das ist, meiner Meinung nach, auch nicht gewaltfrei, wenn auch keine körperliche Gewalt angewendet wird.

By the way, den Spiess umdrehend:

Fühlen wir uns in allen Situationen uneingeschränkt wohl? Gehen wir nicht auch viel lieber etwas aus dem Weg, was wir nicht (haben) wollen? Zum Beispiel Menschen, die uns so gar nicht sympathisch sind? Oder gehen wir nachts durch diese dunkle, unheimliche, verlassene Gasse? Auch wenn es noch eine andere beleuchtete Strasse gibt, wo sich viele Menschen fröhlich gestimmt aufhalten?

Im Gegensatz zu unseren Hunden treffen wir eine Wahl und entscheiden was für uns der beste Weg, die beste Lösung ist. Von unseren Hunden erwarten wir hingegen , dass sie alle Situationen aushalten und es lernen müssen.

Jeder Hund ist, wie wir Menschen, eine Persönlichkeit. Er hat seinen Charakter, seine Eigenschaften, Stärken und Schwächen. Vielleicht ist er von Natur aus der „Draufgänger“ und sehr selbstbewusst? Vielleicht ist er aber in seiner Persönlichkeit eher unsicher und zurückhaltend? Unsicherheit zeigt sich übrigens nicht nur darin, wenn der Hund sich hinter dem Menschen versteckt. Unsicherheit kann auch forsch, aufbrausend oder gar „aggressiv“ dargestellt werden. So wie das bei uns Menschen auch der Fall ist!

Möchten unsere Hunde aber nicht in erster Linie als das gesehen und wahrgenommen werden, was sie sind? Würden sie nicht viel lieber im natürlichen Umfeld ihren natürlichen Instinkten nachgehen? Würde das in ihnen nicht eher Ruhe, Gelassenheit, Zufriedenheit, Glücksgefühle und Entspannung auslösen? Würde es die Beziehung und die Bindung zum Menschen nicht verbessern, wenn er all diese Dinge mit dem Menschen zusammen tun könnte? Der Mensch ihm dabei noch nützlich wird? Wird der Mensch dann nicht viel eher zur Respekts- und Vertrauensperson? Dem, an dem man sich gerne orientieren möchte, weil er aus hündischer Sicht etwas tut, was nachvollziehbar ist? Und weil ihm der Mensch plötzlich etwas sinnvolles zu bieten hat?

Die wahren Bedürfnisse unserer Hunde werden leider meist aus menschlicher Perspektive ignoriert oder nicht verstanden. Vergessen wird, dass unsere Hunde lieber natürlich und artgerecht mit Sinn unterwegs sind. Dass unnütze Tricks, unnütze Beschäftigungen oder „Handlungen“ (Trainings) eher Frust und Stress aufbauen und fördern. Hast du deinen Hund schon einmal gefragt, ob er als wild lebender Canide das Bedürfnisse hätte, „partout“ aus reinem Spass, einen Parcours mit Hindernissen im Höchsttempo zu absolvieren? Welchen Sinn er darin sehen würde? Hast du ihn schon einmal gefragt, welchen Nutzen er daraus zieht, wenn er auf einem Stuhl „Männchen“ macht und sich dort dreimal um die eigene Achse dreht?

Drehen wir den Spiess um!

Hast du Freude wenn du immer wieder etwas tun musst, dass für dich überhaupt keinen Sinn und keinen Nutzen ergibt? Wie lange würde es dauern bis du aus lauter Frust den „Bettel“ hinschmeisst? Selbst dann, wenn du es für jemanden TUN würdest, der dir wichtig ist? Weil er oder sie daran Gefallen hat? Weil du es „ihm“ zuliebe machst? Irgendwann kommst doch auch du an den Punkt, an dem du sagst: „Jetzt reicht’s!“

Bei zwei Menschen, die gemeinsam mit unterschiedlichen Interessen, Absichten und Zielen unterwegs sind sprechen wir sehr schnell von Missverständnissen oder Unverständnis. Wir haben den Vorteil: Wir sprechen „im Normalfall“ die gleiche Sprache und können solche „Konflikte“ an sich schnell lösen! 🙂

Geht man dem natürlichen Instinktverhalten unserer Hunde auf den Grund, wird einem bewusst:

Für unsere Hunde ist das menschliche Verhalten (oft) nicht nachvollziehbar!

Hinzu kommt, dass wir Ihnen gegenüber oft unberechenbar und inkonsequent erscheinen und handeln. Und das nicht nur in Situationen wo wir Stress haben oder selber überfordert sind. Die Folge daraus: Es kann eine ambivalent-unsichere Bindung zwischen Mensch und Hund entstehen. Die Konsequenz daraus ist: Unsere Hunde kann seine Bezugsperson nicht mehr ernst nehmen. Wie soll er uns so die Kompetenzen zusprechen, dass wir ihn durch schwierige Alltagssituationen führen können?

Drehen wir erneut den Spiess um:

Wenn du jemanden nicht ernst nehmen kannst (z.B. deinen Vorgesetzten), bist du dann bereit ihm zu folgen und schenkst ihm dein volles Vertrauen? Traust du ihm die Fähigkeiten zu, dass er dich in allen Situationen gut führen wird? Vermittelt er dir das Gefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit?

Gerade in diesen Situationen, in denen unsere Hunde überfordert sind, versagen wir Menschen oftmals am meisten. Genau da wo unser aktives, vorausschauend agierendes Führungs- und Managementverhalten gefordert ist. Mit der Folge: Wir sind erstaunt, wenn unsere Hunde ein „plötzliches“ Fehlverhalten bzw. Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Zum Beispiel Leinenaggression bei Hundebegegnungen. Aber: Wie sollen unsere Hunde, in dieser für sie „per se“ stressvollen Situation auch anders reagieren? Wenn wir aus ihrer Perspektive nicht über die notwendige Kompetenz verfügen, diese schwierige Situation für sie zu managen? Wenn der Hund uns als Bezugsperson nicht (mehr) ernst nehmen kann?

Ein anderer Blickwinkel einnehmen bedeutet neue Perspektiven zu sehen. Neue Wege, neue Chancen gehen auf. Neue Entwicklungsschritte können entstehen. Und das nur, weil dieser eine „Schritt zur Seite“ neue Sichtweisen eröffnet und ein neues Verständnis schafft. Wenn wir unseren Hunden auf Augenhöhe begegnen wollen, lohnt es sich ihren Blickwinkel einzunehmen. Dies fordert ein Umdenken unsererseits. Wenn wir ihr natürliches Verhalten verstehen lernen und dies in die Erziehung einfliessen lassen, fördert dies die Beziehung und die Bindung zwischen Mensch und Hund.